Samstag, 9. März 2013
Ein Autobiographischer Erfahrungsbericht
Hallo liebe Leserinnen und Leser,
vor vielen Jahren, als meine Eltern in Sargans das Haus bauten, geschah dieser unvergessliche und grässliche Unfall. Vielleicht ist dies ein später Versuch, das Erlebte zu verarbeiten... Mein Bericht entspricht nicht in allen Details der Realität, eine gewisse schriftstellerische Freiheit habe ich mir genommen!
Nun möchte ich diese Erzählung meinen Geschwistern widmen, denn ich war froh, sie zu haben und bin auch heute noch überzeugt, besonders durch meinen Bruder Simon und meine Schwester Nathalie eine schöne Kindheit verbracht zu haben.
Viel Spaß beim Lesen!

Mein Herz rast wild und aus meiner Kehle dringt ein heiserer Schrei. Neben mir kreischt meine kleine Schwester. Panisch kralle ich meine Finger in ihren Arm und erkenne in ihren tränenden Augen, an ihren Tränen, dass ihr die gleichen Gedanken durch den Kopf schießen, wie mir: Simon wird sterben!

Damals, an dem heißesten Sommertag des Jahres, als die Sonne erbarmungslos brannte und kein einziges Wölkchen Hoffnung auf Schatten machte, schwirrte die Luft und ließ den heißen Teer in der Ferne nass erscheinen. Mein Vater, meine Schwester, mein Bruder Simon und ich hatten deshalb eine Radtour an den Rhein unternommen.
Meine kleine Schwester keuchte: „Wann sind wir endlich da? Ich brauche eine Pause!“
„Ich auch“, dachte ich und leckte mir mit der Zunge über die salzigen Lippen. Seit einer Stunde radelten wir schon auf diesem langweiligen Damm. Die Landschaft änderte sich kaum: Gestrüpp links, Gestrüpp rechts mit Blick auf den Rhein, der hier noch nicht allzu breit, dafür mit viel Wasser und einer starken Strömung Richtung Bodensee floss. Die lästigen kleinen Insekten klebten auf der feuchten Haut und knallten immer wieder mit einem kleinen „tck“ gegen die Sonnenbrille.
Mein Vater fuhr hinter uns Kindern und rief nach vorne: „Nur noch bis zur Abzweigung. Dort machen wir eine kurze Rast.“ Sogleich hob mein Bruder Simon seinen Hintern vom Sattel und strampelte wie ein Rennfahrer auf den letzten Metern.
Beim Wegweiser angekommen, stellten wir unsere Räder ordentlich am Straßenrand ab und kletterten vorsichtig die Felsbrocken hinunter, um dem Wasser und der kühleren Luft etwas näher zu kommen. Meine Schwester und ich suchten einen Platz im Schatten und machten es uns auf dem Stein so gemütlich wie möglich. Während mein Vater bereits saß und sich einen Schluck aus seiner Wasserflasche gönnte, kletterte unser Bruder unermüdlich auf den Steinen herum.
„Der hat zu viel Energie“, murmelte ich und war froh, nicht mehr auf dem Fahrradsattel zu sitzen.
Gerade kraxelte er zum Wasser hinunter und verlagerte langsam sein Gewicht, da kippte der große Steinbrocken unter ihm und er stürzte mit einem glucksenden Geräusch in den Fluss. Augenblicklich setzte mein Atem aus und ich starrte ungläubig auf das Wasser. Meine Schwester sprang erschrocken auf und begann heftig zu schluchzen. Simons Kopf verschwand in diesem Moment unter Wasser, nur noch seine Hände versuchten irgendwo Halt zu finden. Ich stellte mich ebenfalls auf meine wackeligen Beine und holte tief Luft. Während ich schrie, erinnerte ich mich an die Warnungen meines Vaters: „Der Rhein sieht hier vielleicht nicht so wild aus, doch wenn ihr nicht sehr gut schwimmen könnt, ist es schwierig, wieder heraus zu kommen.“
Meine Gedanken rasten: „Mein Bruder kann nicht besonders gut schwimmen. Die Strömung ist an dieser Stelle zum Baden zu stark. Wahrscheinlich reißt der Rhein Simon mit. Ist nicht letzten Sommer ein Kind im Rhein ertrunken?“ In nur einer Sekunde überschlugen sich in meinem Kopf die schrecklichsten Vorstellungen.
Doch mein Vater reagierte blitzschnell und sprang beinahe flink auf. Ich hatte ihn noch nie so beweglich gesehen, immerhin ist er fast zwei Meter groß und ein wenig übergewichtig. Er presste meine Schwester und mich grob in die großen Steine, als wollte er uns in Sicherheit wissen. Dann kletterte er zügig nach unten und stromabwärts, denn der Rhein hatte Simon schon ein paar Meter mitgezerrt. Mein Bruder hatte inzwischen die Wasseroberfläche wieder erreicht, japste nach Luft und ruderte wild mit den Armen. Erneut tauchte er einen endlosen Moment unter, während mein Vater ihn langsam am Ufer einholte. Als Simon das nächste Mal auftauchte, nutzte mein Vater die Gelegenheit und schnappte sich seine fuchtelnde Hand, stellte sich breitbeinig hin und zog seinen prustenden Sohn aus dem Wasser.
Ich hörte mich vor lauter Herzklopfen gar nicht weinen. Erst als sich mein Vater und Simon keuchend ein paar Meter vom Ufer entfernt auf die Steine setzten, bemerkte ich, dass ich meine Schwester am Arm festhielt und wir beide schluchzten. Erschöpft zog ich sie auf den Stein hinunter und versuchte sie und mich selbst zu beruhigen. Unser Wimmern verklang nur langsam und der Schreck saß nicht nur unserem Bruder tief in den Knochen.
Simon hockte wie ein nasses Häufchen Elend auf den warmen Felsen und zitterte trotz heißer Sonne. Jetzt dämmerte uns allen, welches Glück er soeben gehabt hatte.
Eine Weile später meinte mein Vater scheinbar ruhig: „Lasst uns nach Hause fahren.“ Schließlich beobachtete er uns genau, als wir vorsichtig und konzentriert zu unseren Fahrrädern hinauf kletterten.